Das Ufer

Ausgepowert kam ich am See an.
Den ganzen Weg durch den Wald war ich gerannt, da mir die Erfahrung von letzter Nacht noch gut in den Knochen steckte.
Erschöpft ließ ich mich am Ufer nieder und zog meine Schuhe aus.
Schwer atmend sah ich mich um, doch ich war alleine.
Eigentlich hatte Burnett ja gesagt, das jeder zu zweit gehen soll, sagte mir mein Gewissen leise.
Ich ignorierte die Stimme, biss aber auf meiner Unterlippe herum.
Dann steckte ich die Füße ins Wasser und machte leichte Wellen, die an das Ufer schwappten.

Ich wanderte mal wieder mutterseelen allein durch den Wald und genoss ein wenig die Ruhe.
Gut, für jeden Anderen wäre es ruhig gewesen, für mich als Werwolf war die ganze Geräuschkulisse des Waldes noch einen Tick lauter, aber es waren wenigstens natürlich Geräusche und das beruhigte mich irgendwie.
Die meisten würden wohl denken, dass ich eher große Menschenmengen vorzog und dass ich gern im Mittelpunkt stand.
Das tat ich auch oft, aber Ruhe und Einsamkeit behagten mir doch etwas mehr.
Zwar durften wir nicht allein herumwandern, nach dem was mit Holiday passiert war, aber erstens hatte ich geschärfte Sinne und würde einen Vampier früh genug riechen und zweitens hielt sich sowieso Niemand daran, wie ich feststellte, als ich am See ankam.
Dort am Ufer saß nämlich ein Mädchen, eine Hexe ihrem Gehirnmuster nach.
Mit verschränkten Armen lehnte ich mich an einen Baum und setzte mein fieses, etwas arrogantes Lächeln auf.
Ganz allein hier draußen kleine Hexe?

Ruckartig drehte ich den Kopf und erkannte einen Jungen an einem baum, der irgendwie arrogant grinste.
Sein Gehirnmuster verriet mir, dass er ein Werwolf war.
Warum ausgerechnet ein Werwolf? Nach dieser Nacht?!
Ich biss mir auf die Unterlippe und zog die Beine aus dem Wasser.
Ein wenig Ruhe kann doch nicht schaden, sagte ich schließlich.

Das ist wahr. sagte ich und nickte.
Ich stiß mich vom Baum ab und ging ein paar Schritte auf sie zu.
Du bist nicht zufällig das Mädchen, das in unser Ritual reingeplatzt ist oder?
Ich hab eine Augenbraue und sah zu ihr runter.
Natürlich war sie es, ich erkannte den Geruch wieder.
Laney hätte dich beinahe zerfleischt, wie ich gehört habe und Lucas Parker soll das auch nicht gerade toll gefunden haben.
Bei Lucas Namen rollte ich kurz mit den Augen.
Ich hatte keine Ahnung wieso, aber irgendwie mochte ich diesen Typen einfach nicht.

Ich wurde warscheinlich wieder total rot.
Jaa... aber es war ein Unfall, das wollte ich nicht!, rief ich dann.
Schnell drehte ich mich von ihm weg und biss weiter auf meiner Unterlippe herum, bis sie blutete.
Und nein, Lucas war auch nicht grade begeistert, da hast du Recht.
Trotzdem hat er mich gerettet, sagte ich etwas leiser.
Das hat er mir auch ganz klar gezeigt und erklärt.
Na toll, mein erster Tag hatte damit geendet, das ich warscheinlich jedem Werwolf im Gedächnis blieb, weil ich in das Ritual geplatzt war.
Ich seufzte tief.

Mein grinsen wurde ein wenig breiter und ich setzte mich neben sie.
Ach keine Sorge, die Anderen werden dich schon nicht auffressen.
Naja, außer Laney vielleicht.
Aber sonst sind wir Wölfe ganz nett, sogar ich kann erträglich sein, aber nur wenn ich das will.
Ich sah das zimlich klein gewachsene Mädchen an.
Aber den Wald solltest du bei Vollmond lieber trozdem meiden.

Ich lächelte schüchtern.
Ja, die Erkenntnis hab ich auch schon getroffen, meinte ich mit einem leichten Grinsen.
Und Laney geh ich jetzt lieber aus dem Weg, nicht das sie noch was nach holen will.
Ich steckte wieder meine Beine ins Wasser und ließ ein paar kleine Wellen entstehen, indem ich meine Füße bewegte.
Doch ich konnte nicht lange schweigen und meine Neugier siegte wieder mal.
Also bis du normalerweise nicht erträglich?, fragte ich mit einem grinsen in seine Richtung.

Hmm... ich tat so, als würde ich darüber nachdenken und sah auf den See.
Nein, nicht wirklich.
Sagen wir es so, ich mach es Leuten nicht grade leicht mich zu mögen. Ich lachte kurz.
Nicht, dass mich Niemand mag, aber halt nicht Jeder.
Ich sah sie wieder an.
Ich bin hier sowas wie der Football-star, wenn man das Camp mit einer Highschool vergleichen würde, beliebt, aber auch ein überall bekanntes Arschloch. sagte ich und bewegte die Augenbrauen.

Ich lachte auf.
Das ist ein wirklich interessanter Vergleich.
An der High School wäre ich glaube... ein Mädchen das zwar bemerkt wird, aber niemanden weiter interessiert.
Ich lächelte leicht und ließ wieder kleine Wellen auf dem Wasser entstehen.
Mich störte es nicht, das ich so ein leben in der High School hätte.
Ich wollte nicht durch sowas auffallen, wie das Ritual eher wegen meinem Charakter.
Ich sah zu ihm auf und begegnete seinen Blick.
Gut, das das hier keine High School ist.
Ein Grinsen konnte ich mir nicht verkneifen.

Ich lehnte mich ein wenig zurück und schloss die Augen.
Ach, naja so schlimm wäre es glaube ich nicht.
Gut dann würde ich zwar wieder zur Schule gehen, aber es wäre um einiges unkomplizierter und die einzigen aufregenden Sachen wären die Schönheiten, die eine nach der anderen schwanger wird und nicht entführungen durch verrückte Vampire.Ich öffnete die Augen wieder.
Und nur zu deiner Information, es gibt Leute, die sich für dich interessieren.
Immerhin beherschst du die Teleportation, wie man sicher erzählt.

Ich sah ihn während seiner Rede überrascht an.
Bei seinen ersten Sätzen lachte ich leise und dann wurde ich immer mehr überrascht.
Ich konterte. Du wirkst aber auch nicht wie das Arschloch vom Dienst.
Dann ging natürlich meine Neugier wieder mit mir durch.
Und woher weißt du, das ich die Teleportation beherrsche?
Gerüchte gehen hier ja schneller herum, als in einer High school, murmelte ich leise und sah wieder zu ihm.

Ich lachte kutz auf.
Oh glaub mir, ich mutiere schneller zum Arsch, als du Tee beschwören kannst.Ich sah wieder zum See.
Und ja, Gerüchte gehen hier schell um.
Ich meine, hier gibts Leute mit eine Supergehör, Gedankenleser und einfach verrückte Stalker, die sich als Käfer tarnen können.
Hier kommt alles irgendwann raus und alles kommt auch zwangsläufig zu mir.
Ich lächelte wieder mein typisches lächeln.
Ich mag ein Arschloch sein, aber ich habe Kontackte.

Ich lachte auf.
Du hast es wirklich mit deinen Vergleichen.
Also Tee kann ich ganz schön schnell beschwören, da musst du wirklich schnell sein.
Und das die anderen Supergehör und das alles haben, grenzt die Privatsphäre wirklich ein.
Deswegen bleibt auch ein geheimnis nicht lange geheim.Ich sah kurz zu ihm und dann wieder auf meine Füße.
Ich frag jetzt nicht, wie du deine Kontakte bekommst.

Klar, Vergleiche sind mein Lebensinhalt. witzelte ich und sah sie wieder an.
Bei ihrer zweiten Aussage nickte ich nur.
Das hatte mich letztes Jahr auch schon tierisch gestört, aber ich hatte mich irgendwie damit abgefunden.
Keine Ahnung wie, es störte mich einfach nicht mehr.
Vielleicht weil ich da nicht mehr so drüber nachdachte.
Dann sag ich es auch nicht. antwortete ich grinsend auf ihre letzte Aussage.

Ich plantschte wieder ein wenig mit den Beinen und sah auf die kleinen Wellen.
Dein wievieltes Jahr is das hier?, fragte ich leise und sah ihn von der Seite an.
Ich spürte das Handy in meiner Tasche vibrieren, als Zeichen für eine neue nachricht, doch ich ignorierte es.
Ich blickte wieder hinaus auf den See und sah dann wieder zu dem Jungen, von dem mir aufging, das ich nicht mal seinen Namen wusste.

Mein zweites.
Meine Eltern dachten, oder besser gesagt denken immernoch, dass das hier ein Camp für schwererziehbare Jugendliche ist.
Sie selbst sind keine Übernatürlichen, weil das Werwolfgen eine Generation übersprungen hat, aber ich glaube, dass es eh nichts geändert hätte.
Ich sah sie wieder grinsend an.
Und was ist deine Story... wie war noch gleich dein Name?
Ich hob eine Augenbraue und sah sie fragend an.

Ich bin Ava, meinte ich mit einem Lächeln.
Meine Eltern wissen, was dieses Camp hier wirklich ist, denn sie sind genau wie ich Hexen.
Ich musste die lange überzeugen, das ich hier her kommen darf und das ist mein erstes Jahr.
Ich plantschte wieder mit dem Füßen und biss mir auf meine immer noch blutende Unterlippe.
Unter der Bedingung das ich meine Gabe weiter trainiere durfte ich hier her kommen.

Ah na dann viel Glück dabei Ava.
Ich bin übrigens Jayden, Jayden Corey. stellte ich mich schief lächelnd vor.
Meinen Nachnamen mochte ich eigentlich nicht besonders, vorallem, da ich mich seit Nathans Tod nicht mehr zu der Familie Corey dazu zählte.
Nur noch zwei Jahre, dann muss ich die beiden eh nie wiedersehen. ging es mir durch den Kopf.
Ja genau, in zwie Jahren würde ich achzehn werden, allerdings konnte in diesen zwie Jahren noch eine Menge passieren.

Ich grinste.
Wenn du auf den vollen Namen bestehst.. Ava Marley.
Ich war nicht stolz auf meinen Nachnamen, da es die Verbindung zu meinen Eltern wahr.
Ich zog nun meine Beine endgültig aus dem Wasser und sah weiter auf den See.
Ich seufzte einmal tief.
Hast du eigentlich geschwister?
Was anders fiel mir nicht ein, doch ich hasste eine angespannte Stille zwischen Menschen -auch wenn es übernatürliche waren.

Ich biss die Zähne zusammen und starrte auf den See.
Hatte. sagte ich und versuchte die Wut zu unterdrücken.
Ich hatte einen kleinen Bruder.
Als er elf war starb er bei einem Autounfall, ich war der einzige überlebende.Und schuld war dieser dumme Lkw-Fahrer, der eine Vorliebe für Schnaps hatte. fügte ich in Gedanken hinzu.
Sein Name war Nathan.
Ich atmete einem tief durch und sah sie wieder an.
Und du?

Ich warf ihm einen mitfühlenden blick zu.
Das tut mir leid.
Ich bin Einzelkind, hab mir aber stets ein Geschwisterchen gewünscht.
Wobei ehrlich gesagt hätte ich am liebsten einen kleinen Bruder.
ich lächelte traurig.
Dann hätten meine Eltern vielleicht nicht nur mir Druck gemacht.

Ich lächelte kurz und nickte.
Kleine Brüder sind schon was besonderes.
Sie nerven zwar, aber man kann auch nicht ohne sie...Ich erlaubte mir noch einen kurzen Moment der Trauer, dann riss ich mich wieder zusammen.
Aber naja dir braucht nichts Leid zu tun, ich habs überwunden und sehe nach vorn.
Das Leben geht schließlich weiter.

Ich sah ihn mir jetzt genauer an.
Ich glaubte nicht, das er die Trauer ganz überstanden hatte, doch ich drängte nicht.
Bei sowas kann ich wirklich geduldig sein.
Ich sah wieder auf den See hinaus.
Mir fiel nichts mehr ein, was ich fragen könnte oder was ich sagen sollte.

Ein eher unbehagliches Schweigen entstand, das nur von den Geräuschen der Natur um uns unterbrochen wurde.
Ja hier war es um einiges besser als in Boston, dennoch brachte mir das Camp nichts.
Meine Eltern sind zu beschränkt in Familiären Dingen um es selbst zu merken und wenn ich es ihnen erklären würde würden sie mir entweder nicht zuhören oder in eine andere Art von Anstalt einliefern.
Und zwar eine, in der man nicht allein im Wald herumwandern oder ungezwungen mit anderen reden konnte.
Ich sah wieder zum See und wackelte ein wenig mit den Füßen.
Ich konnte noch nie lange still sitzen, ob das jetzt an dem Werwolf-Gen lag oder weil ich einfach so war wusste ich nicht.
Ich stand auf und ging ein paar Meter weit.
Direkt am Ufer blieb ich stehen, hob einen Stein auf und ließ ihn über die Wasseroberfläche springen.